154 HÄUSCHEN FÜR TEENAGER *

 

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... in jedem Haus mit Teenagern - DIE FAMILIE (75), HAUS FÜR EINE KLEINFAMILIE (76) - muß deren Zimmern besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden - DAS EIGENE ZIMMER (141): Wenn möglich, sollten diese Zimmer an das Haus angebaut, aber trotzdem getrennt sein und so angelegt werden, daß später auch als VERMIETBARE RÄUME (153) verwendbar sind.

 

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Wenn der Bereich des Teenagers in einem Hais seinem Bedürfnis nach einer gewissen Unabhängigkeit entspricht, wird dieser junge Mensch ständig im Konflikt mit seiner Familie sein.

 

In den meisten Familienwohnungen sind die Zimmer für Kinder und Jugendliche im Grunde gleich. Aber wenn Kinder zu Jugendlichen werden verändert sich ihre Beziehung zur Familie beträchtlich. Sie hängen immer weniger von der Familie ab; sie tragen mehr Verantwortung; ihr Leben außerhalb der Wohnung entfaltet sich und nimmt sie zunehmend Anspruch. Meistens wollen sie mehr Unabhängigkeit; dann und wann brauchen sie noch wirklich den Rückhalt der Familie; manchmal empfinden sie Ängste vor den verwirrenden Vorgängen in ihrem Inneren und um sie herum. All das stellt neue Anforderungen an die Organisation der Familie und dernentsprechend auch an die Organisation der Wohnung.

Um jungen Menschen wirklich über diese Zeit hinwegzuhelfen, muß das Familienleben ein sorgsam ausgewogenes Gleichgewicht haben. Es muß dem Unternehmungsgeist und der Unabhängigkeit breiten Raum geben und gleichzeitig ständigen; Rückhalt bieten, egal was passiert. Das amerikanische Familien leben scheint dieses ausgewogene Verhältnis jedoch nie herstellen zu können. Untersuchungen über das Familienleben Jugendlicher geben das Bild endloser kleinlicher Streitereien, Tyranneien, Vergehen und Versöhnungen wider. Als sozialer Prozess scheint die Adoleszenz mehr darauf ausgerichtet zur. sein, das Bewusstsein junger Frauen und Männer zu brechen;.. als ihnen dabei zu helfen, sich in der Welt zurechtzufinden. (Siehe zum Beispiel Jules Henry, Culture Against Man, New York: Random House, 1963.)

Räumlich gesehen, laufen diese Probleme auf folgendes hinaus: Teenager brauchen einen autonomeren und charakteristischeren Platz im Haus, eher eine Ausgangsbasis für unabhängiges Handeln, als ein Kinderzimmer oder eine Bettnische. Sie bauchen einen Platz, den sie nach Belieben aufsuchen und verlassen können, einen Platz, an dem ihre Privatsphäre  respektiert wird. Gleichzeitig brauchen sie die Möglichkeit, ein Nahverhältnis  zur Familie aufbauen zu können, das mehr auf Gegenseitigkeit und nicht mehr so streng auf Abhängigkeit beruht wie früher. Was offensichtlich gebraucht wird, ist ein Häuschen, das in seiner Organisation und Lage das ausgewogene Verhältnis zwischen neuer Unabhängigkeit und neuer Verbundenheit zur Familie darstellt.

Das Häuschen des Teenagers könnte aus dem alten Kinderzimmer entstehen, indem Sohn und Vater dort eine Wand durchbrechen und den Raum vergrößern. Es könnte gleich von Anfang mitgebaut werden, in der Absicht, später eine Hauswerkstatt daraus zu machen oder einen Ort, an dem der Großvater seinen Lebensabend verbringt, oder auch vermietbare Räume. Das Häuschen könnte sogar eine völlig freistehende Konstruktion im Garten sein, aber in diesem Fall ist eine sehr starke Verbindung zum Hauptgebäude notwendig: vielleicht ein kurzer überdachter Weg vom Häuschen in die Hauptküche. Selbst bei Reihenhäusern oder Geschoßwohnungen kann man den Teenagern Zimmer mit eigenem Eingang geben.

Ist die Idee von Teenager-Häuschen für Eltern annehmbar? Silverstein befragte zwölf in Foster City, einem Vorort von San Francisco, lebende Mütter, ob sie für ihre Familie gern ein Teenager-Häuschen hätten. Ihre Bedenken gegen diese Idee konzentrierten sich auf drei Einwände:

  1. Das Häuschen würde nur ein paar Jahre lang sinnvoll sein und dann leerstehen.
  2. Das Häuschen würde die Familie auseinander reißen; es würde den Teenager isolieren.
  3. Es würde dem Teenager zu große Freiheiten beim Kommen und Gehen bieten.

Um diese Einwänden zu entkräften, schlug Silverstein dann drei Modifikationen vor:

Um den ersten Einwand zu entkräften, muß der Raum auch als Werkstatt, Gästezimmer, Arbeitszimmer und Bereich für die Großmutter funktionieren und aus Holz sein, damit er mit einfachem Werkzeug leicht verändert werden kann.

Um den zweiten Einwand zu entkräften, muß das Häuschen an das Haus anschließen, aber einen eigenen Eingang haben; das Häuschen sollte durch einen kurzen Vorraum oder durch einen Verbindungsgang an das Haus anschließen oder auf der Hinterseite des Grundstücks, hinter dem Haus liegen.

Um den dritten Einwand zu entkräften, muß die Lage des Häuschens so gewählt werden, daß auf dem Weg zur Straße ein wichtiger Gemeinschaftsbereich des Hauses liegt — die Küche, der Innenhof.

Er diskutierte diese Veränderungen wieder mit denselben Müttern. Elf der zwölf Frauen waren nun der Meinung, daß die veränderte Version ihre guten Seiten hatte und einen Versuch wert war. Diese Angaben sind nachzulesen bei Murray Silver-stein, The Boy's Room: Twelve Mothers Respond to an Architectural Pattern, University of California, Department of Architecture, Dezember 1967.

Hier sind einige mögliche Varianten, die diese Modifikationen aufweisen.

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Bei den Komantschen „ ... bekam der Junge nach der Pubertät ein eigenes Zelt, in dem er schlief, seine Freunde einlud und den Großteil seiner Zeit verbrachte". (Abram Kardiner, Psychological Frontiers of Society, New York: Columbia University Press, 1945, S. 75.)

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Und schließlich ein Text von Simone de Beauvoir:

Schon mit zwölf Jahren hatte ich darunter gelitten, zu Hause keinen Winkel für mich allein zu haben. Als ich in Man Journal die Geschichte einer englischen Collegestudentin las, betrachtete ich sehnsüchtig den Farbdruck von ihrem Zimmer: ein Schreibtisch, ein Sofa, Regale voller Bücher; zwischen fröhlich getönten Wänden arbeitete sie, las sie und trank Tee, ganz ungestört: wie ich sie beneidete! Zum ersten mal hatte ich einen Blick in ein Leben getan, das glücklicher war als das meine. Und jetzt endlich besaß auch ich mein eigenes Reich! Meine Großmut-ler hatte aus ihrem Salon sämtliche Sessel, Tischchen und Nippsachen entfernt. Ich hatte Möbel aus rohem Holz gekauft, und meine Schwester half mir, sie braun zu beizen. Ich besaß einen Tisch, zwei Stühle, eine große Truhe, die als Sitzgelegenheit und Rumpelkammer diente, Regale für meine Bücher und ein Sofa, das zu der orangefarbenen Tapete fasste, mit der ich die Wände verkleiden ließ. Auf meinem Balkon im fünften Stock thronte ich hoch über den Platanen der Rue Denfert - Rochereau und dem Löwen von Belfort. Als Heizung diente mir ein roter Petroleumofen, der sehr schlecht roch: mir schien, als verteidige dieser Geruch meine Einsamkeit, und ich mochte ihn gern. Wie herrlich, meine Tür schließen zu können und geschützt vor allen Blicken meine 'Tage zu verbringen! Lange Zeit blieb mir die Ausstattung der Zimmer, die ich bewohnte, gleichgültig. Es hing wohl mit dem Bild in Mon Journal zusammen, daß ich Zimmer mit Diwan und Bücherbord bevorzugte; ich fand mich jedoch mit jeder Art von Behausung ab: wenn ich pur die Tür hinter mir zumachen konnte, war ich überglücklich.

Ich bezahlte meiner Großmutter eine Miete, und sie behandelte mich Mit derselben Diskretion wie ihre übrigen Pensionäre; niemand kontrollierte mein Kommen und Gehen. Ich konnte beim Morgengrauen nach Hause kommen oder die ganze Nacht im Bett lesen, bis Mittag schlafen, vierundzwanzig Stunden lang eingeschlossen bleiben oder plötzlich auf die Straße laufen. (Simone de Beauvoir, In den besten Jahren", Reinbek ,bei Hamburg, Rowohlt, 1961. S. 13 -14.)

 

Daraus folgt:

Um den Übertritt in das Erwachsenenleben bei einem Jugendlichen zu unterstreichen, mach aus seinem Bereich daheim eine Art Häuschen, das auch räumlich den Beginn seiner Unabhängigkeit ausdrückt. Schließ das Häuschen an das Haus an, aber so, daß es sich deutlich davon abhebt, weit entfernt vom Elternschlafzimmer liegt und einen eigenen Eingang und möglicherweise ein eigenes Dach hat.

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Leg das Häuschen so an, daß es einen RUNDEN SITZPLATZ (185) und eine BETTNISCHE (188) enthält, aber kein eigenes Bad oder eine eigene Küche - es ist wichtig, daß diese mit der Familie geteilt werden: So kann der Jugendliche den Kontakt zur Familie aufrechterhalten. Leg den Raum so an, daß ei bei Gelegenheit als Gästezimmer, vermietbarer Raum, Werkstatt und so weiter verwendet werden kann - VERMIETBARE RÄUME (153), WERKSTATT IM HAUS (157). Wenn er in einem oberen Geschoss hegt, richte eine getrennt verlaufende, eigene OFFENE TREPPE (158) ein. Was die Form des Häuschens und seine Konstruktion betrifft, beginn bei DIE FORM DES INNENRAUMS (191) und DIE KONSTRUKTION FOLGT DEN SOZIALEN RÄUMEN (205) ...

 

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