84 TEENAGER-GESELLSCHAFT

 

... damit ein LEBENSZYKLUS (26) ausgeglichen sein kann, muß der Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenleben von einer viel aufgeschlosseneren und umfassenderen Institution für Teenager als von einer Schule getragen wird; das folgende Muster, das erste Ansätze für eine derartige Einrichtung liefert, kann als Teil des NETZWERKS DES LERNENS (18) betrachtet Wer:: den und als Anregung für das Netzwerk der MEISTER UND LEHRLINGE (83) dienen. 

 

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Die Teenager-Zeit bildet den Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenleben. In traditionellen Gesellschaften wird dieser Übergang entsprechend den psychologischen Erwartungen von Riten begleitet. Die ,Mittelschule" der modernen Gesellschaft kann diesen Übergang überhaupt nicht vermitteln.

 

Das eindrucksvollste uns bekannte Beispiel für einen traditionellen Übergang kommt von einem ostafrikanischen Stamm. Dort wird ein Knabe, der die Manneswürde erlangen will, auf eine zweijährige Wanderschaft geschickt, die eine Reihe von immer schwierigeren Aufgaben vorsieht; den Höhepunkt bildet die härteste Prüfung — das Töten eines Löwen. Während dieser Wanderschaft wird er von den Familien und Dörfern des von ihm durchquerten Gebiets aufgenommen und versorgt; sie betrachten das als einen selbstverständlichen Teil dieses Rituals. Wenn der Knabe schließlich alle Aufgaben bewältigt und den Löwen getötet hat, wird er als Mann akzeptiert.

In einer modernen Gesellschaft kann der Übergang nicht so einfach und direkt vonstatten gehen. Aus Gründen, die wir aufgrund ihrer Komplexität hier nicht näher behandeln möchten, sind der Übergangsprozeß und dessen Dauer beträchtlich ausgedehnt und komplex geworden. (Siehe Edgar Friedenberg, The Vanishing Adolescent, Boston: Beacon Press, 1959, und Coming of Age in America, New York: Random House Inc., 1965). Die Teenager-Zeit dauert normalerweise von 12 bis 18 — sechs Jahre also, anstatt einem oder zwei. Die natürliche sexuelle Veränderung, der Wechsel von der Kindheit zur Reife hat einem weit umfassenderen, langsameren Wechsel Platz gemacht: in einem langen Kampf der Persönlichkeitsbildung entscheidet ein Mensch, „wie er ‚sein' wird". Nahezu niemand :orientiert sich an seinen Eltern; also werden in dieser Welt der unbegrenzten Möglichkeiten die Entscheidungen praktisch aus dem Nichts getroffen. Diesen langwierigen Prozeß, der erst mit der industriellen Revolution einsetzte, nennen wir Adoleszenz.

Und dieser Prozeß der Adoleszenz weckt eine besondere Hoffnung. Wenn schon die Großjährigkeit normalerweise mit dem Entstehen der eigenen Persönlichkeit gleichgesetzt wird, könnte dann durch das Hinauszögern der Großjährigkeit nicht eine noch tiefere und vielfältigere Persönlichkeitsentwicklung Stattfinden?

Diese Hoffnung hat sich bis jetzt in keiner Weise erfüllt. Jede Kultur, in der es diese Adoleszenz gibt, hat mit schwierigen Adoleszenz-Problemen zu kämpfen. Quer durch alle Industrie-Staaten bewirken durch die Pubertät ausgelöste Kraftakte auf bemerkenswert ähnliche Weise Krisen und Konflikte. Die Dramatik dieses Problems äußert sich in hohen Kriminalitätsraten, Schulabbrüchen, Selbstmorden, Drogenabhängigkeit und Ausreißen. Selbst eine „normale" Adoleszenz ruft unter solchen Bedingungen viele Ängste hervor; weit davon entfernt, eine vollkommenere und überlegtere Persönlichkeitsentwicklung einzuleiten, setzen wir uns zunehmend einer moralischen und intellektuellen Lähmung aus.

Insbesondere die Mittelschulen tragen an dem Adoleszenz-Problem die Hauptschuld. Gerade in einem Stadium, in dem 'Sich Teenager völlig ungezwungen mit anderen in Gruppen .zusammentun möchten und die Welt der Erwachsenen — Arbeit, Liebe, Wissen, Gesetze, Gewohnheiten, Reisen, Spiele, Kontakte und Politik — schrittweise für sich erobern sollten, werden sie wie große Kinder behandelt. In der Mittelschule haben sie nicht mehr Verantwortung oder Autorität als im Kindergarten. Ihre Verantwortung beschränkt sich darauf, ihre Sachen wegzuräumen, in der Schul-Band mitzuspielen und vielleicht noch einen Klassensprecher zu wählen. Aber das durften sie auch schon im Kindergarten. Es fehlt ihnen an einer neuen Gesellschaftsform, an einem Mikrokosmos der Erwachsenenwelt, den sie als echtes Testfeld für ihr Heranwachsen gebrauchen könnten. Also brechen sich die in ihnen reifenden Kräfte des Erwachsenenlebens Bahn und üben schreckliche Rache. Verständnislose Erwachsene bezeichnen diese Rache dann vorschnell als „kriminelle Handlung".

Diese Problematik wurde nun endlich auch von offizieller Seite bestätigt. Gemeinsam mit der Kitting Foundation kam die Nationale Kommission zur Reform höherer Schulen zu dem Schluß, daß die Mittelschulen in Amerika einfach nicht funktionieren und als Institution vor dem Zusammenbruch stehen. Also wurde empfohlen, den obligatorischen Besuch einer Mittelschule ab dem 15. Lebensjahr aufzuheben und den Teenagern stattdessen eine große Bandbreite an gesellschaftlichen Integrationsmöglichkeiten zu bieten. Weiters sollte die Größe der Mittelschulen so stark reduziert werden, daß sie nicht länger eine von der Gesellschaft abgesonderte eigene Welt bilden. Jede Stadt sollte ihren Jugendlichen die Möglichkeit eröffnen, als Lehrling in einem lokalen Geschäft oder Dienstleistungsbetrieb zu arbeiten, und dafür sorgen, daß diese Arbeit Teil des formalen Ausbildungsprogramms ist.

Genauer gesagt, glauben wir, daß man die in einer Stadt lebenden Teenager - Burschen und Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren - zur Bildung einer Gesellschaft im Kleinen anregen sollte; hier würden sie sich ebenso voneinander unterscheiden und die gleiche gegenseitige Verantwortung tragen wie die Erwachsenen im tatsächlichen Leben. Teenager müssen Verantwortung füreinander empfinden und sich den anderen gegenüber nützlich fühlen; sie brauchen an ihr Alter und ihre Reife angepaßte Hierarchie- und Autoritätsstrukturen. Kurz gesagt, soll ihre Gesellschaft ein Mikrokosmos der Erwachsenenwelt sein - keine künstliche Gesellschaft, in der man Erwachsensein spielt, sondern die Wirklichkeit, mit wirklichen Belohnungen, wirklichen Tragödien, wirklicher Arbeit, wirklicher Liebe, wirklicher Freundschaft, wirklichen Errungenschaften und wirklicher Verantwortung. Um das zu erreichen, braucht jede Stadt eine oder mehrere echte Teenager-Gesellschaften, die teilweise in sich geschlossen sind und von den Erwachsenen betreut und unterstützt, aber im wesentlichen von Erwachsenen und Teenagern gemeinsam geführt werden.

 

Daraus folgt:

Ersetz die „Mittelschule" durch eine Institution, die in Wirklichkeit ein Modell der Erwachsenengeselltschaft ist, und in der die Schüler den Großteil der Verantwortung für den Lernprozeß und das gesellschaftliche Leben tragen — mit genau festgelegten Rollen und Regeln. Sorg dafür, daß Erwachsene sowohl den Lernprozeß als auch das soziale Gefüge der Gesellschaft beratend begleiten, aber belaß beides so weit wie möglich in den Händen der Schüler.

 Eine Muster Sprache 84 TEENAGER GESELLSCHAFT

 

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Sorg für einen zentralen Ort mit verschiedenen sozialen Funktionen und für ein Verzeichnis aller in einer Gemeinde angebotenen Kurse und Fächer. Sorg dafür, daß die Schüler innerhalb dieses Ortes gemeinsam essen können, daß sie Sport-und Spielmöglichkeiten haben sowie eine Bibliothek und eine Beratungsstelle für das Netzwerk des Lernens, wo man den Schülern bei der Auswahl der über die ganze Stadt verstreuten Kurse, Arbeitsgemeinschaften und Hauswerkstätten behilflich ist - NETZWERK DES LERNENS (18), LOKALER SPORT (72), GEMEINSAMES ESSEN (147)SAMES ESSEN (147), WERKSTATT IM HAUS (157); um die Gestalt der verschiedenen Gebäude zu bestimmen, beginn mit GEBÄUDEKOMPLEX (95) ...

 

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